Wer war Erich F. Reuter?
Erich F. Reuter verstarb am 16. 09. 1997.
Er gehört zu den bedeutendsten Bildhauern der deutschen
Nachkriegszeit. Über seinen ursprünglichen Wirkungskreis
Berlin (West) hinaus erlangte er ein beträchtliches internationales
Renommee. Dem gern so benannten „Berliner Dreigestirn“,
bestehend aus den Namen Hartung, Heiliger, Uhlmann, stand er
als Außenseiter gegenüber, der den in Deutschland
einem Nachholbedarf geschuldeten Vorgaben einer wie auch immer
verstandenen „Moderne" lange Zeit nichts abgewinnen
konnte.
Reuter ist eigene und eigenwillige Wege gegangen,
die ihn zunächst zu einem Hauptvertreter des gegenständlich-figürlich
gebliebenen Segmentes der Bildhauerei werden liessen, –
im Stil der 50erJahre. Jahrzehnte später führten sie
ihn neben vielem anderen auch zu einer unerwarteten Auseinandersetzung
mit der ungegenständlichen Bildhauerei. Insgesamt ist so
ein eigentümliches, spannendes und überaus abwechslungsreiches
Werk entstanden.
Erich Reuters Vorfahren stammten aus dem dörflichen
Milieu Ostpreußens, ursprünglich als glaubensverfolgte
Protestanten aus Österreich eingewandert.
Er selbst kam 1911 in Berlin-Charlottenburg
zur Welt als jüngster von drei Brüdern, einer davon
der erst unlängst verstorbene Spanienkämpfer, Kriegskorrespondent
und Dokumentarfilmer Walter
Reuter, der seit 1940 in Mexiko wirkte.
Nach Abgang vom Köllnischen Gymnasium
(Berlin-Mitte) Beginn einer Steinmetzlehre, mit Restaurierungen
in Schlössern und Museumsbauten (bis 1934). Nebenher Ausbildung
in der Kunstgewerbeschule Charlottenburg (1926-29)
Ab 1934 Student an der Hochschule für
Bildende Künste, 1940 Abschluss der Meisterschule für
Bildhauer. Stilprägend waren trotz des Einflusses von Exponenten
der Nazi-Kunst die Vorbilder Lehmbruck, Barlach, Kolbe geblieben.
Im Berlin der frühen 30er Jahre ergaben
sich Freundschaften vor allem zu Schauspielern (Erich Ponto,
Helmut Brasch, Wolf Lukschy), Schriftstellern und Zeichnern
(Erich Ohser Plauen, Marcus Behmer, Hans Scholz, Günther
Weisenborn, Max Fürst). Auch ihre (ersten) Ehefrauen lernten
beide Reuters im Romanischen Cafe kennen.
1942 Militärzeit mit Unterbrechungen
für künstlerische Weiterbildung in Palermo, 1943 Exmittierung
aus der Reichskunstkammer im Gefolge einer Beziehung zu einer
„nichtarischen“ Berlinerin und Geburt eines gemeinsamen
Sohnes, (der hier als Autor fungiert) und dauerhafte Versetzung
an die Front (Italien).
1945 Rückkehr aus amerikanischer Gefangenschaft
und Übernahme eines Ateliers im sowjetisch besetzten Dresden,
die von Erich Ponto vermittelt wurde, dem 1947 das erste einer
langen Reihe folgender Schauspielerporträts gewidmet wurde.
1949 Rückkehr nach Berlin (in den Westteil). Ausstellung
in der Ostberliner Galerie Franz.
1952 Erster Preis zum Entwurf eines Denkmals
der Opfer der Luftbrücke, welcher anschliessend heftig
kritisiert wurde („nicht abstrakt genug“). Ausgeführt
wurde der zweite Preis (die abstrakt-symbolische „Hungerkralle“).
Berufung zum ordentlichen Professor am Lehrstuhl
für Plastisches Gestalten der Technischen Universität
Berlin. Diese Abteilung diente, einzigartig in Deutschland,
der Ausbildung der Architekten und war nicht unumstritten in
ihrer Vorstellung einer Ästhetisierung von vorrangig dem
Wohnen und Arbeiten dienenden Baukörpern auf die Ansprüche
hin, die an ein plastisches Kunstwerk gestellt werden. Auch
befand sich dieser Lehrstuhl samt seinem Inhaber in einem Widerspruch
zu den etablierten Vertretern der Moderne, die dort lehrten,
wo üblicherweise eine Ausbildung von Bildhauern ja auch
stattfindet, an der Hochschule für Bildende Künste.
Auch Reuter hätte gut dort hingepasst, als Bereicherung
und als Gegenpol. Die TU hält jedoch an ihrem eigenwilligen
Ordinarius fest, bis sie ihn 1978 emeritiert, mit der Etikettierung
eines „Nestors der deutschen Bildhauerkunst“.
1953 Erster Preis des Verbandes der deutschen
Kunstkritiker, obwohl Reuter andere Wege geht als der Mainstream.
Manchen Zeitgenossen in den Feuilletons beschäftigt die
Frage, welche „Stufe der Abstraktion“ ein Künstler
erreichen muss, damit sein Werk überhaupt Wertschätzung
verdienen darf. Andere sehen in Reuters Verzicht, sich modischen
Trends in Richtung zur reinen „Abstrakten Kunst“
anzuschliessen, ein Zeichen einer bodenständigen Selbstsicherheit
oder einer frühen Gereiftheit. Überraschenderweise
wendet sich Reuter in reiferen Jahren doch noch „den Abstrakten“
zu. Sinnentleerte, rein formalistisch konzipierte Gebilde bleiben
ihm dabei weiterhin fremd.
Im
gleichen Jahre fand der vom British Council ausgerichtete Weltwettbewerb
für ein „Denkmal für den Unbekannten Politischen
Gefangenen“ statt, bei dem erstmals nach dem Kriege unter
den 3.500 Teilnehmern auch Künstler aus Deutschland zugelassen
waren. Reuters Einsendung (als einige der wenigen Einsendungen
rein figürlich) wurde in der Tate Gallery ausgestellt,
und er gelangte in den Rang eines international wahrgenommenen
Künstlers.
Es folgten zahreiche Auftragsarbeiten für
den öffentlichen Raum, von denen einige preisgekrönt
wurden. Unter anderem Arbeiten für Neubauten der Botschaftsgebäude
in Rio de Janeiro, Lagos
und Washington, für die
Universitäten Münster
und Kiel, für das VW-Werk
in Wolfsburg, für die
Siemenswerke in Berlin und
Erlangen und weitere Konzerne
in Hamburg und in der Schweiz. Ein Denkmal für Conrad Röntgen
in Gießen. Figürliche
Arbeiten in Wohnanlagen in Berlin,
Bonn, Erlangen
und Düsseldorf.
Das
13 Meter breite Bronzerelief „Gegensätzliche Strukturen“
wird als repräsentativ für die deutsche Bildhauerei
der Gegenwart befunden und zur Weltausstellung
nach Montreal verschifft.
Hingewiesen werden muss auf die Schauspielerporträts
für das Schillertheater Berlin:
Ernst Deutsch (1951) Franz Stein (1954), Wolfgang Goetz, Jürgen
Fehling (1955) Werner Krauss (1956) Fritz Kortner (1957) Walter
Frank (1959) Martin Held, Mario Adorf (1960).
Das Porträt des legendären Berliner
Regierenden Bürgermeisters und Namensvetters steht seit
1989 im Empfangsbereich des Roten
Rathauses.
Vom
Club der Filmjournalisten Stiftung des Ernst-Lubitsch-Preises
für Lustspielfilme, eine von Reuter geschaffene bronzene
Pan-Statuette, die jedes Jahr verliehen wird.
1966-68 Gastprofessur an der Technischen Universität
Istanbul als Nachfolger des
Kubisten Rudolf Belling. Dort entsteht eine Vielzahl kleiner
und größerer Bronzereliefs mit dem Thema „Landschaften
Anatoliens“, die 1968 in Istanbul ausgestellt werden.
Für die Neugestaltung des Senders
Freies Berlin (heute RBB) wird im Foyer eines dieser
Reliefs im Großformat angebracht, das seitdem als willkommene
Kulisse für TV-Interviews des Senders dient, ferner stehen
dort zwei weitere größere Skulpturen („Das
Gespräch“ und „Der Geist weht, wo er will“).
Von
Hans Scharoun, dem Schöpfer der Neubauten für die
Berliner Philharmonie und
die Staatsbibliothek kamen Aufträge für die Gestaltung
der Fußböden in beträchtlichen Dimensionen.
Anlässlich mehrerer Exkursionen zu den
Grabungsstätten der Maya-Kultur
in Mexiko entstand eine hiervon inspirierte Skulptur,
„Das Mädchen von Yucatan", die 2006 einen ehrenvollen
Platz im Skulpturenpark des Berliner Auguste-Viktoria-Klinikums
fand.
An
der Grabplatte des Schriftstellers Marek (C. W. Ceram) auf dem
Friedhof Ohlstorf sitzt ein
Jüngling, der ein Buch liest (der gleiche, der auch am
Rathaus im schwäbischen Schorndorf liest, ein dritter wohl
noch im Verlagsgebäude Gruner und Jahr).
Eines der letzten großen Werke Reuters
wurde der „Sterbende Pegasus“, der auf einem Platz
in Bremgarten bei Zürich
steht.
Der eingefleischte und umtriebige Metropolenbewohner
zog sich zuletzt nach Holstein aufs Land zurück, wo er
1997 verstarb. Auch Reuters Grabhügel in Altenkrempe ziert
ein bronzener Jüngling, der einfach nur so daliegt und
in die Sonne blinzelt.
Andreas Karpen
im Herbst 2009 |